Unter dem weiten Sternenhimmel, unter dem Licht des Ahnenmondes, unter der Decke des Großen Geistes saßen Roter Hirsch, der Älteste des Volkes, und Kurzer Pfeil, der Sohn seines Enkels, am wärmenden Feuer. Es war die erste Lange Jagd Kurzen Pfeils gewesen; die Jagd, die ihn zum Mann machen sollte.
Schweigend saßen sie eine Weile, lauschten der Stille und den eigenen Gedanken. „Großvater,“ begann der Junge zögerlich. „Ich soll ein Jäger werden und ich habe mit deiner Hilfe nun meine erste Lange Jagd beendet. Doch die Ruhe will nicht in mein Herz einkehren. Heiter und fröhlich ging ich mit dir auf meine erste Jagd, doch bald war ich unruhig und traurig, weil ich keine Spuren fand. Als du mir sie zeigtest, wurde ich sogar wütend und vertrieb mit meinen lauten Worten das Büffelkalb, das wir sonst erlegt hätten. Am Morgen war mein Herz weit vor Freude über den Himmel, die Erde und das Wasser, doch am Nachmittag hasste ich die Sonne, die Menschen und mich selbst. Warum ist das so, Roter Hirsch, Vater meines Vaters Vater?“
Roter Hirsch sah in den Himmel hinauf, sah ins Feuer, sah in sein Herz. Nach langem Schweigen sprach er schließlich: „Seit Anbeginn der Welt, noch bevor der Coyote, der Trickreiche, durch die Prärie streifte, noch bevor unser Volk auf Pferden ritt, leben im Herzen eines jedem Menschen zwei Wölfe. Der eine ist weiß und strahlt wie die Mittagssonne, der andere ist schwarz wie die mondlose, wolkenverhangene Nacht. Erbittert kämpfen beide miteinander.“ „Kämpfen diese Wölfe denn auch in meinem Herzen?“, fragte Kurzer Pfeil und legte die Hand auf seine Brust. „Ja, auch in deinem Herzen,“ nickte der Alte. „Auch in meinem Herzen, auch in dem deiner Schwestern und Brüder, deines Vaters und deiner Mutter. Sie leben und kämpfen im Herzen eines jeden Menschen. Doch die Wölfe unterscheiden sich nicht nur in der Farbe ihres Fells. Der schwarze Wolf fletscht die Zähne, er droht und knurrt und beißt, er ist rachsüchtig, grausam und gierig. Der weiße Wolf aber ist klug, sanft und liebevoll. Er liebt die Menschen und ist gütig und weise.“
Kurzer Pfeil sah lange in die Glut des erlöschenden Feuers. Schließlich fragte er leise: „Wird aber nicht der schwarze Wolf den weißen töten? Ist nicht im Kampf der Wütende dem Sanften überlegen? Und was geschieht, wenn der schwarze Wolf den weißen Wolf erst besiegt hat?“
„Kurzer Pfeil, denk nach: Kannst du den großen Helden Tamahanaka besiegen, nur weil du voll Wut bist?“
„Nein. Es kommt auf die Stärke und das Können an. Aber welcher Wolf ist nun der stärkere? Welcher wird den Kampf gewinnen?“
„Der, den du fütterst“, antwortete der Alte.
Eine amerikanische Geschichte